Das war ich nicht, das war mein Ego! #1: Tagebuch einer Hassliebe

Spirituelles Ego #1

Mein Ego und ich, wir haben schon echt viel durchgemacht. Unsere Beziehung war jahrelang von extremer gegenseitiger Abhängigkeit geprägt, so sehr, dass man uns eigentlich nicht auseinanderhalten konnte. Dann gab es eine Zeit, in der wir zwischen fliegenden Fetzen und Funkstille geschwankt sind.

In den letzten Jahren und Monaten haben wir eigentlich ein ganz gutes Arrangement getroffen, mein Ego und ich. Ich versorge es mit seinen Grundbedürfnissen, und dafür schlägt es nicht über die Stränge. Meistens nicht, zumindest. In dieser kleinen Serie will ich ein wenig in dieser Beziehungskiste graben, von der sicher jeder das eine oder andere Lied singen kann.

Folge 1: Was ist eigentlich dieses Ego und warum reden alle davon?

Beim Yoga lernen wir über Manipura Chakra, das Energiezentrum im Solarplexus, hinter dem Bauchnabel: Das ist der Sitz deines Egos und das Ego ist das, was deinen spirituellen Erleuchtungsprozess blockiert. Lass es los, hören wir immer. Mit tiefen Twists verdrehen wir in unserer Asana-Praxis Wirbelsäule, Organe und Bauchmuskeln so, dass ich förmlich fühle, wie mein Ego wie aus einem Schwamm in alle Richtungen austritt. Im Kundalini-Yoga gibt es sogar eine Übung, die “Ego Eradicator” heißt. Sieben Minuten Arme hoch (siehe Foto), bis du dich wirklich fast selbst vergisst. Ich will dann zumindest gar nichts mehr, nur atmen und die Energie spüren.

ego eradicator

Ich eradicate mein Ego.

Das Ego (Sanskrit: Ahamkara) ist das ultimative Hindernis.

Dein Ichbewusstsein, das eine Trennung vom Göttlichen (Atman) erschafft. Eifersucht, Habsucht, Arroganz, Stolz, aber auch Vorlieben, Wünsche, Identifikation mit dem eigenen Umfeld… alles Abwege. In der traditionellen Philosophie ist man da ganz radikal. Weg mit dem Ego, ohne Zugeständnisse. Auch deine Essgewohnheiten sind Ego. Dein Kleidungsstil: Ego. Deine Identifikation mit deinem Heimatort? Ego. Erst wenn du dein Ichbewusstsein und deine Identität komplett aufgegeben hast, hast du es vernichtet und machst den Weg zur Erleuchtung frei.

Gut, soweit würde ich jetzt vielleicht nicht gehen.

Ich denke, gewisse Schokoladenseiten meines Egos, nämlich mentale Kraft, persönliche Identität und Intellekt, haben schon eine Daseinsberechtigung. Aber drüber Nachdenken ist nie verkehrt. Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der wir kaum anders können als uns ständig selbst optimieren zu wollen, immer erfolgreich, total besonders und beliebt sein, auffallen, gut abschneiden und unsere Interessen durchsetzen zu müssen? Wo bleiben da unsere eigentlichen Bedürfnisse – und die der anderen? Sogar auf der Yogamatte verfallen wir manchmal diesem Muster. Aber darüber reden wir ein andermal.

Dieser Text ist Teil 1 einer Serie. In Folge 2 werdet ihr die Geschichte lesen, die mich überhaupt erst dazu inspiriert hat, sie zu schreiben. Es war ein Berghainsonntag letzten September…

Titelfoto © Bexx Brown-Spinelli via flickr.

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